FORUM 3/2019 - Schwierige Kinder oder schwierige Systeme?


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Liebe Leser*innen!

Durch eine „Besonderung“ von Kindern und Jugendlichen werden in vielen Arbeitsfeldern pädagogische Arbeitsziele begründet. Dabei heißt es oftmals, dass eine Selbst- und Fremdgefährdung vermieden oder ein Schutz- und Schonraum zur emotionalen Stabilisierung geschaffen werden soll. Oder aber es sollen Lebensalternativen aufgezeigt sowie Selbstbestimmung und Stärken gefördert werden. Insbesondere Sanktionen gegenüber jungen Menschen mit – wie es aktuell heißt – „besonders herausforderndem Verhalten“ werden somit legitimiert.

Den Zusammenhang zwischen der „Besonderung“ von Kindern und Jugendlichen und ihrer Kategorisierung und Diagnostizierung als „Problemkind“ „schwierig“, „verhaltensauffällig“ oder eben „besonders herausfordernd“ belegen Fabian Kessel und Nicole Koch anhand einer Studie von 2014 zu 11-14jährigen (!), die geschlossen untergebracht wurden.

All diesen Zuschreibungen ist gemein, dass es das Kind ist, was abweicht von einer Norm, welches „schwierig“ ist und die pädagogische Arbeit erschwert bis verunmöglicht und daher besondere Maßnahmen einzuleiten sind. Völlig aus dem Blick geraten dabei schwierige Ausgangssituationen, verunmöglichende Rahmenbedingungen oder Fehlentwicklungen im Jugendhilfesystem. Dabei sind davon alle Akteur*innen betroffen – Familien, Jugendliche, Kinder und Fachkräfte.

Ebenso fehlen bei derartigen individualisierten Sichtweisen die kritische Inblicknahme struktureller Diskriminierung und Ausschließung von Menschen und vor allem die Folgen für die Betroffenen. Jutta Hagen verdeutlicht dies anhand der Selektionsfunktion von Schule und damit einhergehendem „Scheitern“ junger Menschen, welches diese dann zu bewältigen haben. Unter Einbezug von Paulo Freires „Pädagogik der Unterdrückten“ plädieren Vera  Koritensky  und Anja  Post-Martens  für dialogische Verständigungsprozesse, in denen jeweilige subjektive Handlungsgründe und ausgrenzende Lebensbedingungen zur Sprache kommen. Ziel Sozialer Arbeit solle sein, Ausgrenzung und exkludierende Systeme zu überwinden.

Zu der Konstruktion der „Schwierigen“ finden Sie einen grundlegenden Beitrag von Prof.  Dr.  Friedhelm  Peters. Anschließend gewähren uns  Sarah  Blume  und  Julia  Milán  einen denkwürdigen Einblick in die Praxis des Projekts Heimspiel  in Dresden und zeigen zunehmende Einschränkungen in der sozialpädagogischer Handlungsfreiheit im Kontext eines restriktiveren kriminalpolitischen Klimas auf. Björn  Redmann  vom Kinder- und Jugendhilferechtsverein e.V. aus Dresden berichtet von Workshops mit jungen Menschen zu ihren Erfahrungen mit Freiheitsentziehung, aus denen nun eine Broschüre entstanden ist. Wie reflektierte Beziehungsarbeit Stigmatisierung verhindern kann, begründet Franziska  Krömer  und wirft in ihrem Beitrag verschieden Fragen auf, die jede*r professionell Sozialarbeitende sich stellen und vor allem auch beantworten können sollte.

Wir freuen uns zudem über den Beitrag von Prof. Dr. Ursula Unterkofler, die die in ihrer Feldforschung gewonnen Beobachtungen mit uns teilt, wie pädagogische Fachkräfte in der Offenen Jugendarbeit mit dem Risiko von Gewalt umgehen.