Schon seit mehr als drei Jahrzehnten wird in Hamburg Sozialraumorientierung diskutiert, konzeptioniert und mittels verschiedener Programme in die Praxis verschiedener Arbeitsfelder neu implementiert, wie Werner Brayer in einem kleinen Rückblick veranschaulicht. Das Fachkonzept Sozialraumorientierung nach Wolfgang Hinte wird in Hamburger Ansätzen häufig herangezogen. Ein zentrales Prinzip bildet hierbei die Orientierung an den Interessen und am Willen der Menschen. „Ein Wille“ jedoch „ist potenziell subversiv“, konstatiert Hinte 2009 und weiter, „er ist nicht berechenbar, gelegentlich lästig und störrisch, nicht domestizierbar und folgt keinem pädagogischen Plan. Er ist Ausdruck eigensinniger Individualität und führt oft zu den psychischen Kraftquellen des Menschen, aus denen er Energie und Würde schöpft.“
Was heißt das für die Praxis? Zunächst betont dieses Prinzip den Subjektstatus und die zu achtende Würde der Adressat*innen Sozialer Arbeit und wendet sich gegen eine Hilfe und sozialräumliche Planung, die aus Expert*innensicht initiiert wird. Zudem wird verdeutlicht, dass Menschen nicht einem Reiz Reaktionsschema folgen und in ihrem Willen nicht zu zähmen, nicht zu „domestizieren“ sind. Zugleich ist der erklärte Willen die Kraftquelle, die den Menschen aktiv werden lässt und ihn zu Veränderungen hin zu einem gelingenderen Leben motivieren kann. Kommunikativ gestaltete Aushandlungsprozesse sind hierbei unabdingbar. Dass das unbequem und anstrengend – gelegentlich lästig – in der praktischen Ausgestaltung sein kann, dem würden wohl Praktiker*innen ohne Umschweife zustimmen. Zugleich geht es nicht ohne Raum – und auch Zeit – für Verständigungsprozesse.
Und wie kommt hier die Sozialraumorientierung ins Spiel? Nun, grundsätzlich gedacht: Menschen im Quartier im Sozialraum sind, ohne Wenn und Aber regelhaft zu beteiligen und anzuhören; dafür braucht es offene Räume, Treffpunkte, Gremien mit „Betroffenen“ und immer auch den Blick auf die materielle, die infrastrukturelle Ausstattung, anders formuliert: den Einbezug von Lebenswelt und Lebenslage.
Hamburger Ansätze der Sozialraumorientierung und ihre weitere Entwicklung erläuterten uns Jan Pörksen in seiner Funktion als Staatsrat, Martin Kloszowski und Ronald Klaus für den Bezirk Hamburg Mitte sowie Gudrun Schuck und Lori Hacaturyan Riehl für den Bezirk Eimsbüttel. Letztgenannte Autorinnen baten wir, insbesondere auf die Rolle der Offenen Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien einzugehen. Die Sicht der OKJA – ihre fachlichen Positionen und daraus resultierende Bedenken, aber auch Chancen hinsichtlich der Sozial räumlichen Versorgung und der Sozial räumlichen Angebote der Jugend- und Familienhilfe (SAJF) fließen ebenfalls ein: Svenja Fischbach hat für Sie eine Diskussionsrunde des Abenteuerspielplatzes Wegenkamp aufbereitet und ein Gespräch mit Johanna Hausberg und Evin Kandemir vom Mädchentreff Lohbrügge geführt, während Hans Berling sich in seinem Beitrag fragt, ob die OKJA derartig arbeiten kann und darf. Ergebnisse seiner qualitativ ausgerichteten Forschung zu Sozialräumlichen Hilfsangeboten aus Sicht von OKJA-Mitarbeiter*innen hat Moritz Frietzsche für Sie zusammengefasst. Henriette Neubert verdeutlicht, wie sie sich in ihrer Gestaltung offener Zugänge im Sozialraum sichtbar und nahbar macht.
Die Stellungnahme des Begleitkreises zur Enquetekommission zur Kinder- und Jugendhilfe in Hamburg und Tilman Lutz’ Plädoyer für eine Soziale Arbeit als Arbeit am Sozialen sind nur zwei der weiteren lesenswerten Beiträge in diesem Heft.
Nachdem wir von verschiedener Seite zu unserem letzten Heft „Macht und ihre Wirkung in Sozialer Arbeit“ positive und nachdenkliche Resonanz erhielten, hoffen wir, dass es uns auch mit diesem Heft wieder gelingt.