19. Februar 2021: Unsere Solidarität nach Hanau!: Antje Heigl und Günther Kugler (JUZ Kesselstadt): Der rassistische Anschlag von Hanau und dann die Corona-Pandemie. Protokoll einer Katastrophe
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Die Covid-19-Pandemie mit all ihren Auswirkungen verdrängte in letzter Zeit viele andere Themen und Entwicklungen. Es hätte dabei fast der Eindruck entstehen können, dass die Welt keine anderen Probleme mehr habe. Im Augenblick des Schreibens dieses Editorials hält jedoch der Tod von Georg Floyd durch rassistische Polizeigewalt Menschen in vielen Ländern und auch uns in Atem. Innerhalb weniger Tagen ist als Reaktion darauf ein globaler Protest entstanden, der vor allem die strukturelle Diskriminierung von ,People of Color‘ anprangert. Gleichzeitig ruft dies auch (neu-)rechte Kräfte auf den Plan. Menschenfeindliche, rassistische „Rattenfänger*innen“ haben auch über die Corona-Zeit nicht an Strahlkraft verloren; ganz im Gegenteil: Antisemitische Verschwörungstheorien sind – wie so oft in Krisenzeiten – wieder hoch im Kurs.
Von der Corona-Pandemie überschattet ist die Erinnerung an den 19. Februar 2020. Das war der Tag, an dem ein Mann neun Menschen aus rassistischen Motiven er-schossen hat. In dem ersten Beitrag berichten uns Antje Heigl und Günter Kugler, die im Jugendzentrum Kesselstadt in Hanau arbeiten und fünf der Opfer persönlich gekannt haben, von der schweren Zeit nach dem rechtsterroristischen Anschlag.
Mehr als überfällig erscheint uns, den Rechts(d)ruck auch in der Sozialen Arbeit und insbesondere in der Arbeit mit jungen Menschen zu thematisieren. Wie gezielt versucht wird, auf etablierte Angebote der Sozialen Arbeit in Nordrhein-Westfalen Einfluss zu nehmen, verdeutlichen Steffen Poetsch, Dr. Christoph Gille und Prof. Dr. Birgit Jagusch anhand der Ergebnisse ihrer Studie. Auch über eigene soziale Angebote der extremen Rechten berichten sie dabei. Was für Nordrhein-Westfalen gilt, lässt sich auch auf andere Bundesländer übertragen. Die lokale Wirksamkeit von rechtsextremer Jugendarbeit in Sachsen auf junge Menschen wird in dem Beitrag von Eva Grigori plastisch vor Augen geführt. Im Beitrag von Kai Dietrich und Dr. Nils Schuhmacher fin- den sich Interviews mit jungen Menschen aus dem ländlichen Raum in Sachsen. Diese berichten über ihren Alltag zwischen völkischem Nationalismus und engagierten Demokrat*innen.
Fachkräfte sind hier nochmals mehr gefordert und sollten in die Lage versetzt werden, einer prozesshaften Radikalisierung hin zu rechtsextremen Haltungen handlungskompetent zu begegnen, wie Julia Besche und Michael Görtler einfordern. Nicht außer Acht zu lassen ist, dass sich der Diskurs bereits seit Jahren verschiebt und rechtes Gedankengut immer sagbarer wird. Wie Fachkräfte hier selbst dazu beitragen oder versuchen sich dem entgegenzustemmen, findet sich nicht nur in dem Beitrag von Julia Besche, sondern auch in Kita-Praxisbeispielen aus der Arbeit des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus Hamburg. Gegenpole aus der Praxis bilden außerdem die Projekte „Bildung am Millerntor“ und „Dekonstrukt“, von denen uns Fabian Fritz und Dr. Johanna Sigl zu berichten wissen.
Politische Interventionen richten sich vielfach gegen Einrichtungen, die als ‚links‘ markiert werden, so ein – angesichts der bundesrepublikanischen Geschichte wenig verwunderlicher, aber dennoch denkwürdiger – erster Befund aus dem noch laufenden Forschungsprojekt von Dr. Nils Schumacher, Moritz Schwerthelm und Gillian Zimmermann. Die Streitigkeiten um das Antifa-Café Pinneberg (siehe Einleger der FORUM-Ausgabe 1/2020) werden demzufolge wohl keinen Einzelfall darstellen.
Kann – wie der Titel des Beitrags von Kai Dietrich und Dr. Nils Schuhmacher fragt – Jugendarbeit als ,Bollwerk‘ der Demokratie gelten? Das liegt nicht nur, aber auch an uns Fachkräften ...
Aus gegebenen Anlass – wie dieses Heft, aber auch ein Blick über den „großen Teich“ verdeutlichen – beschließen wir daher das Editorial mit Worten, die bereits im während der 1920er Jahren in Italien aktuell waren: Alerta, Alerta, Antifascista! Und: White Silence is Violence.